Gold Blech – Gold (ras) Die Verfassungsprüfung am letzten Tag passierten alle Pferde anstandslos, auch alle deutschen Pferde. Eine Bekräftigung der Aussage Leo Jeffcotts, des Vorsitzenden der FEI-Veterinärkommission, dass sämtliche Pferde im Ziel der Geländestrecke einen sehr guten Eindruck gemacht hätten. Lediglich der auf Platz fünf rangierende William Fox-Pitt (Großbritannien) verzichtete darauf, sein Pferd Tamarillo zu präsentieren. Und auch die auf Platz 13 rangierende Olvia Bunn (Australien) erschien mit Top of the Line nicht zum Veterinärcheck.
Was später am Tag folgte, glich einem Thriller. Zunächst in sportlicher, später auch in anderer Hinsicht. Zunächst einmal fielen die deutschen Mannschaftsreiter erneut durch ausgeglichene Leistungen auf. Nachdem Andreas Dibowski mit Little Lemon B lediglich einen Abwurf kassierte, brachte es Hinrich Romeike mit Marius auf die erste Nullrunde für das Team. Mit zwei Abwürfen und drei Strafpunkten für Zeitüberschreitung kam der 28-jährige Frank Ostholt ins Ziel. Für einen kurzen Schreckmoment sorgte das Nichterscheinen von Ingrid Klimke, die ihren Sleep Late kurzfristig vor dem Start zurückgezogen hatte. Bedauerlich für das Paar, das bereits in Sydney mit glänzenden Leistungen für das deutsche Team am Start gewesen war. Doch auch ohne die dreifache Deutsche Meisterin lag die deutsche Mannschaft weiter auf Erfolgskurs. Schon vor dem Einritt von Bettina Hoy war klar, dass eine Nullrunde den Sieg für Deutschland bringen würde. Und es gelang! Ohne Abwurf bewältigte die amtierende Deutsche Meisterin den 600 Meter langen und mit 13 Hindernissen und 15 Sprüngen erbauten Parcours. Der in der Einzelwertung führende Franzose Nicolas Touzaint, der als letzter Starter seiner Mannschaft am letzten Hindernis einen Abwurf hinnehmen musste, konnte das Ergebnis seiner Mannschaft nicht mehr verbessern. Das bedeutete erstmals wieder seit 1988 Mannschaftsgold für ein deutsches Vielseitigkeits-Team, Silber für Frankreich, Bronze für Großbritannien.
Emotionale Achterbahnfahrten
Doch noch während sich die deutschen Reiter, Betreuer und Fans in den Armen lagen und sich über diesen unerwarteten, aber hoch verdienten Sieg freuten, kam die Ernüchterung. Die Ground Jury widerrief ihr für Bettina Hoys Ritt festgestelltes Ergebnis und rechnete ihr 14 Strafpunkte für Zeitüberschreitung an. Das bedeutete Platz vier für das deutsche Team. Bestürzung und Ratlosigkeit bei allen Deutschen im Stadion machte sich breit. Was war geschehen? Eine Rekonstruktion des Geschehens erbrachte folgenden Ablauf: Bettina Hoy ritt einige Meter vor der Startlinie, als das Startsignal ertönte. Mit diesem lief, wie bei internationalen Turnieren üblich, der 45-Sekunden Start-Countdown auf der Anzeigetafel. Sie ritt durch die Startlinie. Dann wurde vermutlich manuell die Countdown-Uhr wieder auf Null gestellt, und die Uhr begann erneut rückwärts zu zählen. Bettina Hoy, die merkte, dass etwas nicht in Ordnung war, schaute auf die Countdown-Uhr, und sah, dass diese noch lief. Deshalb musste sie denken, dass ihr Start noch gar nicht erfolgt sei, und ritt noch einmal durch die Startlinie, wobei die Uhr auf der Anzeigetafel zu zählen begann. Erst nachdem der nachfolgende Reiter seinen Ritt beendet hatte, wurde ihr die Zeit vom ersten bis zum zweiten Durchreiten der Startlinie (14 Fehlerpunkte) zusätzlich auf die Zeit, die sie für ihren Ritt benötigt hatte, hinzugerechnet.
Die nachträgliche Korrektur des Richterurteils löste bei den deutschen Fans ein Pfeifkonzert aus. Fast eine Stunde war der Ablauf unterbrochen. In dieser Zeit formulierte die deutsche Mannschaftsleitung einen offiziellen Protest gegen das Urteil und reichte ihn beim Appeal Committee, dem Schiedsgericht der Veranstaltung, ein. In der Zwischenzeit wurde Frankreich als Olympiasieger bekannt gegeben und auch die ausgegebenen Ergebnislisten wiesen bereits Frankreich auf Platz eins und Deutschland auf Platz vier aus. Nach einer Beratungszeit des Appeal Committees kam – kurz vor dem zweiten Springen um die Einzelwertung – die aus deutscher Sicht erlösende Information. Dem Protest der deutschen Mannschaft wurde stattgegeben und das ursprünglich Ergebnis wieder hergestellt. Damit hatte das deutsche Team seinen sportlich verdienten Sieg zurück, und konnte sich in der Siegerehrung von der britischen Prinzessin Anne die Goldmedaillen umhängen und die Lorbeerkränze aufsetzen lassen.
Mehr noch. Mit dieser Entscheidung hatte Bettina Hoy auch ihre gute Ausgangsbasis für die Einzelentscheidung wieder. Für das zweite Springen, an dem die 25 besten Paare, jedoch maximal drei pro Nation, aus den drei voran gegangenen Prüfungen teilnehmen durften, hatten sich auch Hinrich Romeike und Andreas Dibowski qualifiziert. Letzterer landete mit zwei Abwürfen am Ende auf dem 14. Platz. Hinrich Romeike, im ersten Springen noch fehlerfrei, beendete sein Olympia-Debüt mit einem Abwurf und zwei Strafpunkten für Zeitüberschreitung auf Platz sechs. Und Bettina Hoy sicherte sich einen Platz in der Sportgeschichte, als sie trotz der gewaltigen Nervenbelastung der vorangegangenen Stunden, die Nerven behielt und mit lediglich einem Abwurf und zwei Strafpunkten für Zeitüberschreitung ins Ziel kam. Das bedeutete ein Endergebnis von 41,60 Strafpunkten und eine sichere Silbermedaille. Nun hing alles von ihrem letzten Konkurrenten um den Einzeltitel ab, dem erst 24-jährigen amtierenden Europameister Nicolas Touzaint, der mit 33,4 Strafpunkten alle Chancen auf Gold hatte. Doch der junge Mann zeigte Nerven: Gleich vier Abwürfe und zusätzliche drei Strafpunkte für Zeitüberschreitung trugen ihm das zweite Springen mit Galan de Sauvagère ein, wodurch er auf Platz neun in der Gesamtwertung zurückfiel. Damit war Bettina Hoy die erste Vielseitigkeitsreiterin seit 68 Jahren, die sowohl in der Mannschaft als auch in der Einzelentscheidung Gold gewinnen konnte. Zuletzt gelang dies Hauptmann Ludwig Stubbendorff 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin mit Nurmi. Silber ging an den Briten Leslie Law mit Shear LEau (44,40 Strafpunkte). Bronze holte sich Kimberly Severson (USA) mit Winsome Adante (45,20 Strafpunkte).
Das Glück währte allerdings nur kurz. Die Nationalhymne war noch nicht verklungen, da wurde bereits ein Einspruch angekündigt. Und tatsächlich traten zwei Tage später die Nationalen Olympischen Komitees Frankreichs, Großbritanniens und der USA vor das Weltsportgericht (CAS) und legten Widerspruch gegen die Medaillenvergabe an die Deutschen ein. Drei Tage dauerte das juristische Tauziehen, bis das Urteil bekannt gegeben wurde. Kein Gold für Deutschland! Als Begründung gab das CAS an, dass das Schiedsgericht, das den Deutschen die Goldmedaille zunächst zugesprochen hatte, für diese Frage nicht zuständig gewesen wäre. Damit erhielt die Entscheidung der Ground Jury, der Bettina Hoy nachträglich 14 Zeitstrafpunkte im Springen angerechnet hatte, erneut Gültigkeit. In einer Stellungnahme drückten die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN), das Deutsche Olympiade Komitee für Reiterei (DOKR) und die Mitglieder der deutschen Pferdesportequipe der drei Disziplinen Dressur, Springen und Vielseitigkeit ihre tiefes Bedauern über die Entscheidung des CAS aus. Weiter heißt es: Fest steht: Sportlich haben die deutsche Mannschaft und Bettina Hoy bewiesen, dass sie die Medaillen verdient hätten. Das wird in die Geschichte der Olympischen Spiele eingehen. T.H./Hb