Zur Fütterungszeit am Dienstagabend war noch alles in Ordnung: Paul Freimüllers 13-jähriges WM-Pferd frass mit Appetit und war bei bester Gesundheit. Als der Humliker Springreiter später mit seinen Teamkollegen Beat Mändli, Markus Fuchs und Lesley McNaught selber beim Abendessen sass, erhielt er telefonisch die Hiobsbotschaft aus dem Stall: Gegen 21 Uhr hatten Pferdepfleger festgestellt, dass mit Himmerdor etwas nicht stimmt; kurze Zeit später bestätigte der Schweizer Mannschaftstierarzt Marc Suls den Verdacht auf eine Kolik.
Gleichzeitig wurde bei Pershing, der Stute von Lesley McNaught, Fieber festgestellt. Beide Tiere wurden mit erlaubten Substanzen behandelt, um einen Start beim gestrigen Jagdspringen nicht zu gefährden. Während Pershing gut darauf ansprach und sich rasch erholte, bekam Himmerdor zusätzlich zur Darm- infektion Fieber. Gestern gegen Mittag beschlossen die Schweizer Teamverantwortlichen in Absprache mit dem Tierarzt und Paul Freimüller, das Pferd vom Wettbewerb zurückzuziehen. Es war ein Entscheid, der zum Wohl des Pferdes gefallen ist, erklärte Equipenchef Martin Walther.
Freimüller tief enttäuscht – Himmerdor steht zurzeit in einer Pferdeklinik in Jerez und wird konstant überwacht. Über die Ursache der Fiebererkrankung, welche mindestens noch drei weitere Pferde in Jerez heimgesucht hat, tappen die Tierärzte im Dunkeln. Um eine Infektion handelt es sich nicht, die Blutwerte sind bei allen untersuchten Tieren gut. Schuld daran könnten jedoch die sehr feuchten, zwischen heiss und kalt wechselnden Wetterverhältnisse sein. Für Paul Freimüller, der seine ganze Saisonplanung auf diese Weltmeisterschaft ausgerichtet hat, kommt die plötzliche Erkrankung seines Pferdes zum denkbar ungünstigsten Moment. Er hatte hier in Jerez die Chance seines Lebens und ist am Boden zerstört, erklärte Teamsprecher Rolf Theiler. Freimüller selber wollte gestern nicht vor die Medien treten.
Das Aus von Freimüller ist ein Schock für das gesamte Schweizer Team, welches zur heutigen WM-Entscheidung in der Mannschaftswertung ohne Streichresultat antreten muss. Die verbleibenden Reiter werden trotzdem kämpfen. Alle drei sind Profis, die mit solchen Situationen umgehen können, erklärte Walther. Als offene Frage bleibt jedoch, wie sich der Gesundheitszustand von Lesley McNaughts Stute entwickelt.
Markus Fuchs in Führung – So schlecht der Tag für die Schweizer Equipe begonnen hat, so gut endete er. Markus Fuchs nämlich übernahm nach dem Jagdspringen die Führung im WM-Zwischenklassement. Der St.Galler gewann das Jagdspringen über 13 Hindernisse in 72,10 Sekunden knapp vor dem Franzosen Eric Levallois auf Diamant de Semilly Ecolit und dem deutschen Weltranglistenersten Ludger Beerbaum auf Gladdys. Lesley McNaught klassierte sich auf Pershing als 14., Beat Mändli nimmt mit Gryfino den 40. Zwischenrang im Feld von 97 Teilnehmern ein. Fuchs setzte sich nach seinem Husarenritt schweissgebadet auf eine Abschrankung am Abreiteplatz: Ende gut, alles gut wenigstens am heutigen Tag, meinte der Weltcupsieger von 2001. Wir haben einen hektischen Tag und eine hektische Nacht hinter uns. Der Druck nach all den Zwischenfällen war auch für mich gross. Ich war zusätzlich beunruhigt, weil mein Hengst vor dem Einritt nicht seinen obligatorischen Misthaufen machte. Kurz vor dem Start hat er dies auf dem Platz nachgeholt. Danach war auch ich erleichtert. Hervorragend ritt auch Lesley McNaught bei ihrem ChampionatsComeback mit der gesundheitlich angeschlagenen Stute Pershing. Ein Weltklasseritt, spitzenmässig, kommentierte Equipenchef Martin Walther den Blankoritt der Rückkehrerin. Äusserst aufmerksam und dosiert lenkte die Amazone das kränkelnde Pferd über die Klippen, als wenn nichts zuvor geschehen wäre. Pershing hat sich gut erholt. Sie war vorsichtig und kämpferisch wie immer, meinte Lesley bescheiden. Wir haben Pershing nach ihrem Fieberschub nur vor dem Start abgespritzt und nur sechs, sieben Trainingssprünge eingelegt. So blieb sie spritzig.
Medaillenchancen der Equipe intakt – In der Mannschaftswertung belegt das Schweizer Trio hauchdünn hinter Schweden den vierten Zwischenrang in Feld von 21 Ländern. Der Rückstand aufs drittplatzierte Schweden beträgt vor dem Nationenpreis 0,32 Punkte. In Führung liegt Frankreich, der Weltmeister von 1990, mit 4,22 Punkten vor Olympiasieger und WM-Titelverteidiger Deutschland (7,69), Schweden (9,02) und dem Schweizer Trio (9,34).