“Der 8. Vorsatz”

oder: Die Schwierigkeit, sich Dinge vorzunehmen
von Bernd M. Britten

Normalerweise gehöre ich nicht zu denen, die sich ständig irgendetwas vornehmen und schon gar nicht dann, wenn es alle tun. Also just vor dem Jahreswechsel, vielleicht beim 40. oder 50. Geburtstag, oder wenn man gerade wieder einmal mit einer heftigen Grippe im Bett mit sich und der Umwelt ins Gericht geht.


Vielleicht tue ich es diesmal, weil ich gerade Zeit habe; oder weil ich nichts Besseres zu tun habe? Tatsache ist, dass vor mir ein leeres, weißes Blatt Papier liegt und ich einen Kugelschreiber in der Rechten halte. Das allein ist schon ungewöhnlich. Denn dort, wo eben jetzt dieses Stück Papier liegt, befindet sich sonst eine Computer-Tastatur; und meine Hand muss sich an das Gefühl eines glatten, dünnen Schreibgerätes auch erst gewöhnen, anstatt mit lockerem Griff und abgespreiztem kleinen Finger, eine Maus auf wenigen Quadratzentimetern Tischfläche umherzuschieben.

Ich weiß auch gar nicht mehr, was mich bewogen hat, etwas aufschreiben zu wollen; oder doch? Doch, ich hatte wenige Minuten zuvor eine Art Eingebung; eigentlich waren es Fragen; Fragen, so von dieser Art etwa: Was mache ich, was habe ich bisher falsch gemacht, wohin will ich, was möchte ich anders machen? Anders machen? Bingo. Genau! So bin ich darauf gekommen. Ich sollte etwas verändern, ein 10-Punkte Plan (so predigen das doch alle immer) muss her. An den sich dann akribisch und konsequent halten, und ein neuer Mensch steht vor Ihnen, ohne schlechte Vergangenheit, wie aus dem Ei geschlüpft, ein unbeschriebenes, weißes Blatt. Schon wieder Bingo. Haben wir nicht immer wieder gelernt: Nur was schwarz auf weiß steht, das gilt? Papier ist geduldig. Verträge müssen eingehalten werden, pacta sunt servanda! Und Vorsätze auch, gute allemal. Aber nur, wenn sie handschriftlich verfasst werden. Die Gefahr, dass man so lange das Geschriebene abändert, bis es mit der Idee nichts mehr zu tun hat, besteht besonders bei der Verwendung von Computern. Niemand erkennt im Nachhinein Korrekturen, es gibt keine Randbemerkungen, sondern nur einen fertigen Text. Bis zur nächsten Änderung. Ich glaube, jetzt bin ich auf etwas gestoßen, etwas großes. Kann es sein, dass sich seit es Textverarbeitungsprogramme gibt, niemand mehr festlegen will; jede politische Maßnahme, jedes Gesetz deswegen so lange durch Ausschüsse, Gremien usw. gejagt wird, bis ein jeder Beteiligte mit seinem Programm nicht mehr nachvollziehbare Korrekturen angebracht hat? Und das ohne Konsequenzen, weil die Version 13, 14 und 27 nie wieder auftauchen, sondern im elektronischen Papierkorb gelandet sind? Wenn das alles schwarz auf weiß geschähe, also auf Papier, wie schnell würde mancher selbsternannte Interessensbeteiligte sich weitere Änderungsvorschläge verkneifen, schon aus Bequemlichkeit.

Ich bin abgeschweift. Ich habe mich hier hingesetzt, um mir 10 Dinge für die Zukunft vorzunehmen; ja: Vorsätze sollen es sein, ich gebe es ja zu. 10 Änderungen für mein weiteres Leben, die sollten schnell aufgeschrieben sein, ich weiß doch schließlich genau, was bei mir im Argen liegt.

Natürlich höre ich mit dem Rauchen auf, vermutlich schon morgen. Obwohl, habe ich nicht vor zwei Stunden erst argumentiert, dass man ein Laster doch wohl haben dürfte; und Winston Churchill und der deutsche Altbundeskanzler Helmut Schmidt und überhaupt, dass die steinalt geworden sind oder sogar steinalt noch leben? Gut, Rauchen aufhören, ist beschlossen, Nr. 1 abgehakt.

Gesündere Ernährung; klar, das wollte ich schon immer, das wird nicht schwer fallen. Mehr Gemüse und Obst, weniger Fett, vielleicht öfter Fisch und Reis, und Vollkornbrot. Kein Problem. Muss ich mir nur ein Chinesisches Kochbuch besorgen, und so eine Wok-Pfanne. Schließlich koch ich ja gerne, und, so sagt man, gut. Den Alkoholkonsum schränke ich auch ein, Rotwein in Maßen ist aber gesund. Vorsatz Nr. 2 erledigt.

Alles um mich herum walkt, rennt, läuft und schwimmt. Was sagt uns das? Ich muss mehr Sport treiben, wobei das Attribut mehr schon wie Hohn klingt. Aber sei es drum. In der Schule habe ich immer gerne geturnt, Fußball kicke ich ja mit meinen Kindern ab und zu, das verlernt man ja auch nicht; schwimmen kann ich. Im Sommer wird die ganze Familie mit Fahrrädern ausgerüstet. Das wäre dann Vorsatz Nr. 3, läuft doch gut.

Okay, das waren jetzt mal die Standard-Geschichten, auf die kommt ja jeder, da bin ich in bester Gesellschaft. Jetzt muss aber mal etwa anspruchsvolles her, irgend wie etwas akademisches, etwas, wozu man Intelligenz braucht, wo ich mich auch vom Gehirn her einbringen kann. Eines meiner Defizite, die ich gerne verleugne, ist meine Desorganisation. Für mich ist das eine Herausforderung, meine Talente unter Beweis zu stellen. Meine Kritiker bezeichnen es simpel mit Chaos. Ich glaube sie haben gelegentlich recht, gelegentlich! Eine bessere Tagesaufteilung mit klaren Aufgaben und Terminen, vom Aufstehen bis zum Schlaf, ich werde mich besser fühlen, wenn ich erst gut organisiert bin und leistungsfähiger sowieso. Damit kann ich die anderen verblüffen. Darauf freue ich mich schon. Da kann ich auch gleich die Vorsätze fünf und sechs dranhängen. Früher Schlafengehen und früher Aufstehen, da habe ich dann mehr vom Tag. Und wenn ich persönliche Dinge sofort erledige, dann schlafe ich auch besser. Ich neige nämlich dazu, so einfache Sachen wie die Stromrechnung so lange liegen zu lassen, bis der Gerichtsvollzieher vor der Türe steht. Und wegen 19,75€ ausstehender Abogebühr verklagt mich meine Tageszeitung. Das würde mir im Geschäft nicht passieren. Da kennt man mich als denjenigen, der nach Rechnungseingang sofort bezahlt und noch vergisst, Skonto abzuziehen. Also gut, privates wird sofort erledigt, in Zukunft. Hurra, 6 Vorsätze sind geschafft.

Es kann sein, dass ich in den letzten Jahren ein wenig zurückgezogen gelebt habe. Natürlich bin ich jeden Tag, 10, 12 Stunden im Büro, nicht selten sogar am Wochenende. Zuwider ist mir aber das von Kollegen gnadenlos ausgeübte Dauerverabreden. Gehst Du heute Abend mit zum Stammtisch, was machst Du denn am Wochenende, mit dem neuen Kunden solltest Du auch mal Essen gehen!? Ja, haben die denn alle keine Familie? Bin ich spießig, weil ich meiner Frau gönne, dass sie abends ihrem Hobby nachgeht und ich die Kinder ins Bett bringe? Eine Stunde abends Märchen vorlesen, das ist doch auch Arbeit und eine Investition in die Zukunft meiner Kinder. Da bin ich doch weit entfernt davon ein Langweiler zu sein, oder sogar das Brandmal kontaktarm auf der Stirn zu tragen. Natürlich ist mir aufgefallen, dass andere Kinder viel öfter bei Kameraden sind, zum Spielen. Andere Eltern verabreden sich häufig, sind immer irgendwo auf einem Kindergeburtstag oder bereiten gerade die Adventfeier vor, mit Heißkleberpistole und Silberpapier bewaffnet. Ich würde schon mal auf einen Kindergartenstammtisch gehen oder zur alljährlichen Elternversammlung erscheinen. Am Ende aber lass ich mich womöglich dazu hinreißen etwas so Beeindruckendes zu sagen, dass man mich als Elternsprecher wählt, und dann habe ich den Salat. Natürlich muss ich mich dann engagieren, dass wird auch Spaß machen. Aber das weiß man ja, plötzlich bist Du dann in einem Dutzend Vereine und genau dort, wo Du Dir mal in der Jugend geschworen hast, niemals Mitglied zu sein, womöglich sogar in einer politischen Partei. Dennoch, im Interesse meiner Kinder, und nur für die, werde ich mich künftig um mehr soziale Kontakte bemühen, versprochen.

Da waren es dann schon sieben. Ich sagte ja, das wird nicht schwer. Was gibt es denn noch, was ich schon lange vor hatte zu ändern? Ich habe Gesundheit, Beruf, Familie, alles abgedeckt. Und das mit nur 7 Vorsätzen. Reicht das denn nicht? Müssen es 10 sein? Die Sieben ist doch eine gern genommene Zahl. Glückszahl bei den Chinesen, man spricht von Sieben Weltwundern, Sieben auf einen Streich; Schneewittchen hatte auch nur sieben Zwerge und nicht 10. Nur weil irgendwer gesagt hat, ein Businessplan müsse 10 Punkte umfassen, weil der Mensch in 10er Schritten besser denken kann, muss ich doch nicht jeden modernen Quatsch mitmachen. Andererseits: Es gibt die 10 Gebote, und die sind nachweislich älter als Schneewittchen und älter als alle Businesspläne dieser Welt. Vielleicht sind die 10 Gebote der Businessplan schlechthin, quasi die Mutter aller Businesspläne.

Also doch noch die drei fehlenden Vorsätze aufschreiben, einfach damit es rund wird. Damit mir keiner nachsagen kann, ich hätte irgendwas verdrängt.

Aber ich kann doch nicht allen Ernstes als Vorsatz Nr. 8 nehmen, dass ich meine Mutter öfters anrufe, oder dass ich im kommenden Jahr wirklich 14 Tage Urlaub am Stück mit meiner Familie mache, was ich seit Jahren verspreche. Oder dass ich mir endlich einen Kalender mit allen wichtigen Geburtstagen zulege, außer meinem eigenen kann ich mir nämlich keinen merken. Das ist doch alles zu banal. Das sind doch keine vorsatztauglichen Verhaltensmaßnahmen. Genauso gut könnte ich mir vornehmen, anderen besser zuzuhören, damit ich nicht genau das nachfrage, was mir zwei Minuten vorher erzählt worden ist und das ich mit mmmhmm als verstanden quittiert habe.

Oft wird auch behauptet, ich würde mit Gefühlen anderer respektlos umgehen. Was stimmt ist, dass ich Sentimentalitäten bei anderen als unerträglich kleinbürgerlich und schwächlich verstehe. Ich selbst versuche, hart mir gegenüber zu sein. Gleichwohl ich mich nicht einmal von seit 5 Jahren abgelaufenen Ohrentropfen verabschieden kann, ich könnte ja mal schlimme Ohrenschmerzen haben.

Aber irgendwie kommen wir jetzt in Bereiche, die vor Belanglosigkeit strotzen. Irgendwas missfällt irgendwem immer. Und dafür bräuchte es keinen Vorsatzkatalog, allenfalls einen Tüte mit Dutzenden von Wünschen, mit denen man sich am Ende noch neue Wünsche besorgen kann. Ich erlaube mir jetzt einfach, dieses ganze Sammelsurium an möglichen Änderungen unter Sonstige Vorsätze zusammenzufassen. Ich verstehe sie so, als seien sie auf Wiedervorlage abgeheftet.

Ich habe mich wirklich bemüht. Es ist nicht meine Schuld, wenn ich nur sieben Vorsätze zusammengebracht habe. Ich denke, es zeugt auch von einer gewissen Bescheidenheit, damit auszukommen.

Uups: Jetzt habe ich fast Vorsätze mit Wünschen verwechselt. Soll nicht wieder vorkommen, und das wäre dann der achte Vorsatz.



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